Für die hessnatur Natural Indigo Selvedge Jeans haben wir unsere erste Produktionsstätte in Bangladesch aufgebaut. Im Februar durfte ich gemeinsam mit meiner Kollegin Marina aus der hessnatur Stiftung in das Land reisen, um unseren Lieferanten zu besuchen. Was wir in der bengalischen Hauptstadt erlebt haben, schildere ich im ersten von zwei Reiseberichten.
Bangladesch: Hauptstadt Dhaka.
Landeanflug Dhaka. Der erste Eindruck: Dunkelheit. Wir landen um fünf Uhr morgens. Aber im Vergleich zu unserem Zwischenstopp Istanbul, das am Abend zuvor im Dunkeln so sehr strahlte, sehe ich – nichts. Die Hauptstadt Bangladeschs bleibt mir verborgen. Hier und da blitzen kleine Lichter auf wie Sterne am Himmel. Manche flackern unruhig.
Doch je näher wir dem Boden kommen, desto mehr fällt auf: Es gibt Licht und das sammelt sich an einer Stelle. Riesige Häuser ragen uns hellerleuchtet entgegen. Ich frage mich, was das zu bedeuten hat. Die ganze Stadt liegt im Dunkeln, nur eine riesige Gruppe Hochhäuser strahlt in die Nacht? Schnell wird mir klar, was mir da ins Auge fällt. Es sind die großen Textilfabriken, in denen Tag und Nacht gearbeitet wird. Fabriken wie Rana Plaza, in denen unentwegt textiler Nachschub für den konsumverwöhnten Westen produziert wird. Ich möchte es nicht glauben, doch es gibt leider keine andere Erklärung: Das Stigma von Bangladesch springt mir noch vor der Landung direkt ins Gesicht.
In den Straßen Dhakas.
Gegen sieben Uhr früh verlassen wir den Flughafen mit dem Auto. Es ist Sonntag, was hier aufgrund der muslimischen Kultur unserem Montag entspricht. Bangladesch zählt zu den am dichtesten bevölkerten Ländern der Welt und ich habe das Gefühl, alle Einwohner des Landes sind heute auf Dhakas Straßen unterwegs. Für eine Strecke von 30 Kilometern brauchen wir mit dem Auto knapp drei Stunden. Dewal, unser Fahrer, schmunzelt, das sei der tägliche Wahnsinn: Alle Kreuzungen sind verstopft. Es herrscht Chaos. Überall Fahrrad-Rikschas, Autos, Tuk-Tuks, LKWs und Busse.
Es scheint als fahre jeder irgendwie drauflos. Von allen Seiten ertönen Hupen. Auch Dewal hupt. Erst viel später in der Woche wird mir klar, dass das Hupen einer eigenen Sprache entspricht. Es gibt akustische Signale für „lass mich vorbei“, „fahr mich nicht um“, „ich bin genervt“ oder „halt an“. Fasziniert wie das Hupen eine Art Struktur in das Chaos bringt bin ich nun der festen Überzeugung, dass diese Art der Kommunikation viele Unfälle verhindert.
Seltsamerweise stört mich der Geräuschpegel wenig, denn ich werde permanent abgelenkt. Die Eindrücke der Stadt ziehen mich sofort in ihren Bann: Da ist der Zug, der so überfüllt ist, dass die Menschen sich sogar auf seinem Dach hockend nebeneinander drängeln. Transport-Rikschas voller Obst und Gemüse. Bananen, Melonen, Karotten. Menschen, gekleidet in den buntesten Farben. Busse, die ebenfalls farblich um die Wette leuchten, bei näherem Hinsehen aber sehr viele Dellen und Kratzer aufweisen. Und alles wird überzogen von einer dicken Staubschicht, die sich wie eine matte, dumpfe Decke über die Stadt legt. Dafür hat Johannes, unser Kontakt vor Ort, eine eher liebevolle Bezeichnung parat: „Die Stadt ist eben ein Staubfänger.“
Die volle Wucht des Staubfängers spüre ich als ich zum ersten Mal aus dem Auto steige. Der Staub legt sich sofort auf meine Lunge und ich muss so stark husten, dass es mir Tränen in die Augen treibt. Ich verstehe nun alle, die mit Atemschutz unterwegs sind. Die Frage, wie es die anderen nur ohne aushalten, kann ich mir nach einem halben Tag selbst beantworten: Mein Körper scheint sich an den Schmutz gewöhnt zu haben, ich muss nicht mehr husten. Dennoch kann das für die Menschen, die dem permanent ausgesetzt sind, nicht gesund sein.
Am Abend kann ich nicht einschlafen. Natürlich leide ich unter Jetlag, aber was mich viel mehr umtreibt: Schon am ersten Tag bin ich so vielen wunderbaren Menschen begegnet. Dewal, unser Fahrer, der mir mit einer Engelsgeduld meine ersten bengalischen Sätze beibringt. Die Menschen auf der Straße, die uns interessiert hinterhersehen, heimlich Fotos machen und überglücklich strahlen, wenn wir mit ihnen für Selfies posieren. Oder das Mädchen im Tuk-Tuk neben unserem Auto, das mir, nachdem ich ihm mit meinem Handy zuwinke, mit einem sanften Nicken zu verstehen gibt, dass ich es fotografieren darf. Alle strahlen so viel Wärme, Würde und Freundlichkeit aus. Die Ungerechtigkeit, der die Menschen in diesem Land im weltweiten Vergleich ausgesetzt sind, macht mich traurig.
Die Menschen Bangladeschs.
Am nächsten Tag ist die Traurigkeit zunächst wie weggeblasen. Es ist ein wichtiger Feiertag: der Tag der Muttersprache. Bis 1971 gehörte Bangladesch zu Pakistan. Vor der Unabhängigkeit des Landes konnte sich die Muttersprache Bengali nur unter schweren Protesten, die viele Menschen das Leben kosteten, gegen das pakistanische Urdu durchsetzen und bis heute als Landessprache behaupten. Die vielen Opfer der Unabhängigkeit und natürlich den Stolz auf die eigene Sprache würdigen die Menschen heute mit einem großen Straßenfest. Wir nutzen den Tag für eine Tour durch die Altstadt. Auf dem Weg dorthin begegnen wir einem völlig neuen Dhaka: Alle Geschäfte haben geschlossen, die Menschen tragen ihre schönsten Kleider und schmücken sich mit Blumen. Sogar die Kleinsten sind geschminkt mit dem Zeichen des Shaheed Minar, dem Unabhängigkeits-Denkmal.
In der Altstadt treffen wir unseren Stadtführer, einen Einheimischen, der sich mit dem Rundgang etwas Geld dazuverdient. Denn in Bangladesch gibt es keinen Tourismus. Ein Visum erhält man nur auf Einladung der Regierung, ansässiger Unternehmen oder von Verwandten. Was uns in den folgenden vier Stunden erwartet ist eine Mischung aus Faszination und Entsetzen. Wir werden durch das Labyrinth des Großmarktes geführt, fahren mit einem kleinen Boot über den Buriganga Fluss, besuchen eine Textilfabrik und eine Wohnsiedlung.
Zuallererst kommen wir an einem Mann vorbei, der eine große Menge Abfall in einen Container schaufelt. Dass sich große Ansammlungen von Müll wie ein roter Faden durch Dhaka ziehen, wird beim Weitergehen deutlich. Oft ist er selbst so bunt wie die Kleidung der Menschen und die angebotenen Waren und daher manchmal nur auf den zweiten Blick zu erkennen. Die schiere Masse macht uns jedoch sprachlos.
Der Großmarkt von Dhaka ist eine Siedlung alter Kolonialstilbauten mit vielen kleinen Gässchen, die in verwinkelte Häuser und Hinterhöfe münden. Wir tauchen mit allen Sinnen in die Welt des bengalischen Handels ein: Überall riecht es nach Gewürzen, die Farben von Kurkuma, Koriander und Chili leuchten um die Wette. Vor uns stapeln sich riesige Berge aus Zwiebeln, Kartoffeln und Ingwer.
Als hellhäutige Reisegruppe fallen wir natürlich auf. Das Wort, das jeder kennt ist „Selfie“ und so posieren wir gefühlt vor jedem Smartphone-Display der Stadt. Es macht Spaß. Die Menschen sind zwar sehr schüchtern, aber wenn man freundlich auf sie zugeht und die ersten ihre Scheu überwunden haben, sind alle sehr neugierig und freundlich. Viele sind auch einfach nur stolz, wenn man sie fotografiert. Manche Händler fächern fürs Foto sogar ihr Geld auf, um ihren Erfolg zu zelebrieren.
Anschließend überqueren wir in einem kleinen Boot den Buriganga Fluss. Er ist tiefschwarz und ich lerne, dass hier alles Mögliche im Wasser landet. Schon vorher ist mir aufgefallen, dass überall in der Stadt scheinbar wie aus dem Nichts Rohre ragen, deren schwarze Flüssigkeit in den Fluss fließt. Wenn man bedenkt, dass auch Dhakas Gerberviertel, das wegen der hohen Chrom VI Belastung zu den verseuchtesten Orten der Erde zählt, am Fluss liegt, kann man sich ausmalen wie sehr das Wasser belastet ist.
Textilinstustrie in Bangledesch.
Auf diesen Schock folgt der nächste: Wir werden in eine Textilfabrik geführt, die für den lokalen Markt Kleidung, zum Beispiel Saris, produziert. Beim Anblick des Gebäudes und den Zuständen im Innern scheint mein entsetzter Blick aufzufallen. Denn man erklärt mir direkt, dass es sich hierbei um eine recht gute Fabrik handelt, also kein Vergleich zu den Orten, in denen sogenannte Fast Fashion produziert wird. Positive Merkmale seien das vorhandene Tageslicht und die damit verbundene Sauerstoffzufuhr sowie das Radio, das durch die Hallen tönt und dass alle aufstehen und uns beobachten können.
Am Ende des Tages besuchen wir ein Wohnviertel in einer sehr armen Gegend von Dhaka. Ich lerne Familien kennen, die zu acht auf zehn Quadratmetern leben und dabei auf dem Fußboden schlafen. Ich sehe noch mehr Müll, der von allen Seiten in das Viertel einzubrechen droht. Und auch das schwarze Wasser schlängelt sich wieder seinen Weg zum Fluss. Begleitet werden wir von einer stetig anwachsenden Gruppe kleiner Kinder. Neben „Selfie“ können sie hier alle noch ein anderes englisches Wort: „Chocolate“. Ich denke an den letzten Schokoriegel in meiner Tasche und der Gedanke wie ich den auf vierzig Kinder verteilen soll, zerreißt mir fast das Herz. Den anderen scheint es genauso zu gehen. Nach den vielen Eindrücken des Tages ist dieses Viertel der nervenaufreibende Abschluss von Dhakas Altstadt. Auf dem Weg zurück ins Hotel ist es deshalb auch seltsam still. Jeder scheint Ruhe zu brauchen, um das Gesehene einzuordnen und zu verarbeiten.
In den nächsten Tagen besuchen wir unsere Produktionsstätte in Bangladesch, in der die hessnatur Natural Indigo Selvedge Jeans gefertigt wird. Im zweiten Teil unseres Reiseberichts nehmen wir euch mit in das ländliche Nilphamari und zeigen euch genau, wo der Selvedge Stoff gewebt und gefärbt wird und wer die Menschen dahinter sind.
wienfan ,
Ein sehr interessanter Bericht – Danke!