Die Geschichte hatte meine Kollegin, Dagmar Reichardt, so beschäftigt, dass sie mir das gleich erzählen musste. „Stell dir vor, also, die Frau hat in Teilzeit gearbeitet in der Verwaltung, ihr Mann war Manager und ziemlich eingespannt. Außerdem hatte sie noch zwei schulpflichtige Kinder, um die sie sich kümmern musste. Und dann ist ihre Mutter dement geworden, und der Vater ihres Mannes hatte einen Schlaganfall. Und dann stand sie da.“ Das Beispiel ist krass. Aber eben heute leider kein Einzelfall mehr. „Dadurch, dass sich immer mehr Menschen immer später dazu entschließen, Eltern zu werden, kommt es natürlich immer häufiger vor, dass ein Elternteil pflegebedürftig wird, während die eigenen Kinder noch schulpflichtig sind“, weiß Dagmar Reichardt zu berichten. Als Betriebsrätin hat sie gemeinsam mit Juan Diaz, einem weiteren Kollegen vom Betriebsrat bei hessnatur, eine Schulung zum Thema „Beruf und Pflege vereinbaren“ bei der AOK in Bad Homburg besucht – übrigens die erste Schulung dieser Art in Hessen.
Jetzt wird es ernst!
Bereits im August des Jahres hatte hessnatur als einer der 50 ersten Unterstützer die „Charta zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege“ des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration mit unterschrieben. Doch jetzt wird es ernst: Der Betriebsrat bereitet sich darauf vor, Mitarbeiter bei hessnatur zu unterstützen, sollte in ihrer Familie einmal der Ernstfall eintreten. Ganz wichtig sei, so Dagmar Reichardt, dass sie keine therapeutische Funktion übernehmen könnten. „Was wir beisteuern können, ist Beratung. Wir haben jede Menge Adressen und können hilfreiche Tipps geben. Da braucht niemand für sich allein das Rad neu zu erfinden.“
Die geschulten Kollegen wollen Betroffenen helfen, das Tabu zu brechen. Häufig würden nämlich Menschen, die zuhause unter der Belastung familiärer Pflege stehen, bei der Arbeit darüber überhaupt nicht sprechen. So erhielten sie sich einen letzten Rest „heiler Welt“, nach dem Motto: Wenigstens am Arbeitsplatz ist noch alles in Ordnung. Doch eine offene Kommunikation des Themas ist viel weiterführender als so zu tun, als ob nichts wäre. Denn immerhin, berichtet das Hessische Sozialministerium, werden 76 Prozent der pflegebedürftigen Menschen zuhause in der Familie versorgt. Darüber sollten wir reden!
Was andere bereits tun…
Im Anschluss an die Schulung erfolgt nun bei hessnatur intern die Beratung darüber, was hessnatur seinen Mitarbeitern anbieten kann, sollte zuhause plötzlich ein Familienmitglied pflegebedürftig werden. Andere Betriebe haben solche Modelle schon erarbeitet, etwa die AOK Hessen. Dort wurde eine Mappe mit umfangreichem Informationsmaterial für betroffene Beschäftigte zusammengestellt, außerdem wurden Führungskräfte für das Thema durch Schulungen sensibilisiert.
Die bereits vorhandene Möglichkeiten wie flexible Arbeitszeitmodelle, reduzierte Vollzeit für Führungskräfte, das Arbeiten an flexiblen Arbeitsorten oder die Inanspruchnahme der gesetzlichen Regelungen von zehn unbezahlten Urlaubstagen im Jahr werden jetzt durch den betriebsinternen Service „Beruf und Pflege“ ergänzt, der bei Bedarf auf ein vielfältiges, regionales Netzwerk zugreifen kann.
Es gibt also noch viel zu tun, und hessnatur packt es an!
Simone ,
Das ist eine gute Sache und auf jeden Fall eine sinnvolle Aktivität. Aber: das Problem Arbeit und Pflege unter einen Hut zu bekommen, haben doch nicht nur Frauen und es entsteht nicht nur dann, wenn schulpflichtige Kinder da sind. Das Problem kann auch entstehen, wenn man keine Kinder hat oder Kinder die erwachsen sind. In meinem Fall würde noch erschwerend hinzukommen, dass meine Eltern sehr weit weg von mir wohnen.